Rede von Andrea Nahles am 12.11.2010 im Deutschen Bundestag zur Gesundheitsreform von Union und FDP:

Veröffentlicht am 12.11.2010 in Aktuell

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eine Zäsur ist es wohl, Frau Flach. Nach meiner Auffassung erleben wir hier heute den ersten Schritt in die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Hier wird aus meiner Sicht versucht, die Prinzipien der privaten Krankenversicherung einer im Kern intakten Solidargemeinschaft überzustülpen. Meiner Meinung nach ist das vor allem schlecht für 70 Millionen gesetzlich Versicherte, für alle Patientinnen und Patienten. Es geht Ihnen doch in Wirklichkeit nicht um die Reform des Systems. Sie wollen den Wechsel des Systems, Herr Rösler. Das ist der entscheidende Punkt.

Wir haben hier im Grunde genommen einen groß angelegten Feldversuch, in dem die Menschen an die Prinzipien der privaten Krankenversicherung herangeführt werden sollen, und das wollen die Menschen in Deutschland nicht.

Was wollen denn die Menschen eigentlich? Sie wollen zweierlei: Erstens wollen sie, wenn sie krank werden, Sicherheit haben, dass sie die bestmögliche medizinische Versorgung bekommen. Das Zweite, was Menschen wollen, ist, dass es dabei gerecht zugeht, und zwar sowohl im Wartezimmer als auch auf dem Lohnzettel oder im Rentenbescheid.

Was legen Sie demgegenüber heute hier vor? Den Patienten wird es nicht besser gehen. Die Versorgung wird nicht verbessert, in keinem Punkt. Aber es wird an vielen Punkten für die Mehrheit der Versicherten in Deutschland ungerechter werden.

Deswegen, lieber Herr Rösler, muss man auch einmal klar benennen, welche Interessen Sie heute hier vertreten. Sie vertreten nämlich nicht die Interessen der Versicherten, Sie verdienen den Namen Gesundheitsminister nicht. Sie sind der Cheflobbyist der 4 Prozent Spitzenverdiener, die in den Umfragen als Letzte treu zur FDP stehen. Das kann man hier doch einmal schlicht zusammenfassen.

Die Aussage hinsichtlich des Cheflobbyismus will ich auch begründen: Sie haben allen Ernstes die Chuzpe, die Arbeitgeberbeiträge einzufrieren. Dies geschieht in einer Zeit, in der die gesundheitlichen Belastungen für Arbeitnehmer nachweislich durch Überstunden und Leistungsverdichtung stetig steigen. Insbesondere psychische Erkrankungen sind mittlerweile zu einer der großen Volkskrankheiten geworden. In dieser Situation entlassen Sie die Arbeitgeber aus der Verantwortung für die Gesundheit der Arbeitnehmer. Das ist mies. Ihre Politik bedeutet eines: mehr Netto - allerdings nur für die Arbeitgeber in Deutschland. Etwas anderes wird durch Ihre Maßnahmen nicht erreicht.

Wir erleben hier die Einführung einer Kopfpauschale. Je weniger man verdient, desto höher ist die Belastung. Das kehrt das Solidarprinzip um. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Menschen werden dies merken. Bei 1 000 Euro Rente entspricht eine Kopfpauschale in Höhe von 40 Euro einer 4-prozentigen Rentenkürzung. Das werden die 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland sehr bald in ihrem Rentenbescheid erkennen können.

Herr Rösler, Sie sprechen von Sozialausgleich. Sie bekommen noch nicht einmal in Ihren eigenen Reihen ein Gerechtigkeitsattest. Herr Spahn, Herr Straubinger und Frau Flach haben es Ihnen doch am 4. November schriftlich gegeben - ich zitiere -:
So kann es passieren, dass jemand einen Steuerzuschuss erhält, obwohl der Versicherte etwa über hohe Zins- und Mieteinnahmen verfügt. Das ist nicht gerecht.

Herr Spahn, Herr Straubinger und Frau Flach, wenn Sie diese Reform nicht für gerecht halten, dann haben Sie doch das Kreuz und verhindern Sie diese Reform.

Der zweite Streich des Ministers ist die Vorkasse. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben bisher überhaupt kein Problem mit dem Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung gehabt.
ä
Bei der Vorkasse gibt es aber das Problem, dass die Leute allein auf den Risiken sitzen bleiben, wenn der Arzt mehr abrechnet, als die Kasse ihnen erstattet.

Das wird massenhaft passieren. Das ist Scheckbuchmedizin. Das können wir den Menschen nicht zumuten.

Die Vorkasse ist für mich die Einführung eines Dreiklassensystems. Jeder von uns kennt doch die Situation - ich bin AOK-Versicherte -, dass man als gesetzlich Versicherter schon jetzt immer länger warten muss

und dass man einen schlechteren Zugang zu Spezialisten hat. Dies ist so, weil es Privatpatienten gibt. Jetzt wird eine weitere Klasse von Versicherten eingeführt. Sie sagen, die Vorkasse sei freiwillig. Wissen Sie, wie es nachher in den Praxen läuft? Wer schnell behandelt werden will, bekommt einen kurzfristigen Termin nur dann, wenn er Geld auf die Anmeldetheke der Arztpraxis legt. Das wird die Realität in Deutschland werden. Das bringt nichts außer Verdruss.

Sie führen hier ein Großexperiment durch. Ich sage Ihnen: Mit der Gesundheit von 70 Millionen Versicherten macht man keine Experimente, meine Damen und Herren von der Bundesregierung.

Frau Flach, es gibt sehr wohl eine Alternative, die eine hochwertige Gesundheitsversorgung mit gleichem Zugang zu medizinischen Leistungen für alle Bürgerinnen und Bürger sicherstellt. Dieser Weg setzt auf mehr Solidarität und nicht auf die weitere Spaltung dieses Landes. Was mir besonders wichtig ist: Nur die Bürgerversicherung kann verhindern, dass die Patienten den Lobbyisten in diesem Land ausgeliefert werden.

Deswegen setzen wir uns dafür ein.

Ich bin davon überzeugt - das ist auch die Überzeugung meiner Partei, die dieses System entwickelt hat -,dass die Mehrheit der Menschen in unserem Land die Bürgerversicherung unterstützen wird.

Indem wir die Bürgerversicherung einführen, werden wir die Solidarität stärken. Sie werden bei der nächsten Wahl für Ihre Politik die Quittung bekommen.
Vielen Dank.

 
 

Homepage SPD Mayen-Koblenz

Wir packen das an!

Für uns ist Politik eine Herzenssache. Deshalb stehen Ihnen unsere Ortsvereine in allen sieben Städten und Gemeinden zur Verfügung. Wir vertreten Sie in der Verbandsgemeinde Weißenthurm.

Ob jung oder alt und unabhängig vom Einkommen: Wir verstehen uns als Volkspartei für soziale Gerechtigkeit und kommunales Gemeinwohl.